Wozu noch eine Fortbildung in Online-Beratung? Interview für den Newsletter von SafeZone, Herbst 2017.
Warum brauchen erfahrene Beratende eine Schulung in Online-Beratungen?
Klaus Fieseler: Viele Fachleute aus den Beratungsstellen oder ihre Vorgesetzten denken, Online-Beratung sei eine einfache Sache. Man müsse nur einen Computer mit Internetanschluss bedienen können und Erfahrung in Beratung gesammelt haben.
Zahlreiche Online-Beratungsangebote sind so gestartet, es hat sich allerdings gezeigt, dass diese Form der Beratung die Fachpersonen vor neue Herausforderungen stellt.
In der Mailberatung und in den Chats kommuniziert man ausschließlich schriftlich, die Kommunikation ist auf diesen Kanal beschränkt. Auch die nonverbale Kommunikation erfolgt schriftlich und dies muss in der Beratung besonders berücksichtigt werden.
Zudem bietet die ausschließlich schriftliche Kommunikation mehr Raum für Projektionen und Missverständnisse bei Hilfesuchenden und Beratenden. Und sie bietet grosse Chancen für hilfreiche Beratungsprozesse.
Um eine fachlich fundierte und hilfreiche Online-Beratung anbieten zu können, ist es wichtig, diese Aspekte und die damit verbundene Dynamik zu erkennen und für die Beratung zu nutzen.
Wo liegen erfahrungsgemäss die grössten Herausforderungen für die Beratenden?
KF: Online-Beratung unterscheidet sich in einem Punkt ganz wesentlich von der Präsenzberatung in einer Beratungsstelle. Der gesamte Beratungsverlauf wird verschriftlicht und damit komplett dokumentiert. Der Inhalt eines Beratungsgesprächs dagegen wird in der Regel durch persönliche Notizen oder Protokolle dokumentiert. Diese werden von der beratenden Fachperson selbst erstellt und sind von ihrer subjektiven Wahrnehmung beeinflusst.
Zwar wird in professioneller Online-Beratung ähnlich gearbeitet und man kann ein Protokoll über eine Mail- oder Chatberatung erstellen. Dennoch bleibt für Ratsuchende und Beratende die Möglichkeit, den Originaltext nachzulesen. Auch Kolleginnen, Fachvorgesetzte, Mentorinnen oder Supervisoren können den anonymisierten Beratungstext lesen. Die Ratsuchenden können ihn sogar kopieren und an Andere weitergeben.
Man exponiert sich also mit seinem beraterischen Handeln in der Online-Beratung weit mehr als in der Präsenzberatung.
Ein ähnlicher Grad an Transparenz in der Beratungsstelle könnte durch Videoaufnahmen von jedem Gespräch erreicht werden, die dann den Ratsuchenden zu Verfügung gestellt würden, bei Fallbesprechungen und Supervision vorgeführt würden und möglicherweise noch für Kollegen und Vorgesetzte einsehbar wären.
Dieser Grad an Transparenz stellt erfahrungsgemäss am Anfang eine der grössten Herausforderungen dar. Fachpersonen aus der Beratung sind nicht daran gewöhnt, ihre Arbeit so offen gegenüber Dritten zu zeigen. Präsenzberatung findet hinter verschlossenen Türen – und meist ohne Einwegspiegel, Videokamera oder Kollegen – statt.
Die zweite Herausforderung liegt in der Art der Fallpräsentation. Ratsuchende in der Online-Beratung sind oft direkter in der Darstellung ihrer Anliegen und der Hintergründe. Man ist als Fachkraft teilweise sehr schnell mit den Kernthemen und auch mit brisanten Themen konfrontiert. Schambesetzte Inhalte kommen viel schneller zur Sprache als in der Präsenzberatung. Die Ratsuchenden nutzen diese Form der Beratung, um über Erfahrungen mit Gewalt oder Suchtmitteln, über sexuelle Probleme, über ihre Angst um Angehörige oder Suizidgedanken mit Aussenstehenden zu kommunizieren.